19.07.2008 - Melt! 2008

Daten

von: mad

Location: Ferropolis - Stadt aus Eisen

Ort: nicht angegeben

Beschreibung

Stell Dir vor, es ist Loveparade und Du gehst nicht hin. Zu Hause zu sitzen und die Bilder im Fernsehen und die Zahlen im Radio zu verfolgen hat was von Hausarrest oder "nein, Du kommst hier nicht rein". Wenn man der Loveparade trotz ausreichend Geld, Zeit und Fitness den Rücken kehrt, so bedarf es als echter Freund elektronischer Tanzmusik besserer Argumente als "das Wetter ist schlecht, ich könnte nass werden".

Nachdem mein Fahrer und zwei weitere Personen Freitag Abend auf diese Weise den Schwanz eingezogen hatten und am Samstag gegen Mittag immer noch kein überzeugender Alternativplan bereitstand, entschloss ich mich kurzerhand meine Sieben Sachen zu packen und schnellst möglich meinem ursprünglichen Ziel entgegenzufahren: Ferropolis, Stadt aus Eisen - Melt!

Dunklen Wolken, Sonnenschein und Platzregen. Drei- oder viermal Portishead durchgehört. 20.30: Ziel erreicht. Freundliche Securities. Mein kleines Zelt ist ruckzuck aufgebaut. Wo bekomme ich jetzt eine Karte her? 1 km Fußmarsch. Hinter mir braut sich was zusammen. Mächtig böse Wolken ziehen auf. "Gleich dort drüben am weißen Haus". Drei Personen stehen vor mir. Jetzt wird es eng. "Scheiße! Was? Björk tritt erst morgen auf? Das ist Sonntag! Ich muss Montag wieder fit sein." "Das macht 55 Euro". Platzregen. Glücklicherweise habe ich meine Regenjacke an und 2 Mädels haben einen zu großen Schirm. Ich schaffe es größtenteils trocken ins schützende Zelt. Was mache ich hier? Und wo bekomme ich nun endlich ein Bändchen her? "Ca. noch einen oder zwei Kilometer. Aber weil Du so nett bist, geb' ich Dir noch einen Regenschutz mit auf den Weg" Gigantische Blitze erscheinen über dem See. Es riecht nach verbrannter Luft. Zum Glück regnet es nicht mehr.

Es ist noch nicht viel los am Eingang. "Nein, Du brauchst ein Bändchen!" "Ich denke, das bekomme ich hier?" "Nein, beim Licht!" "Wo?" "Na, dort hinten beim Licht?" "Wie?" "Willst Du mich nicht verstehen? Mach, dass Du hier rauskommst!"

Ich arbeite mir meinen Weg durch den Schlick und frage schließlich einen sympathisch anmutenen Gleichgesinnten nach dem Ort der Verbändelung. "Wie Bändchen? Du bist doch schon drin! Wie hast Du denn das hinbekommen? Geil! An Deiner Stelle würde ich hier bleiben. Für das Bändchen musst Du wieder 2 km zurück." Scheiße! Ohne Bändchen wird mir nie jemand glauben, dass ich wirklich hier gewesen bin. Und ich sammle diese Scheißdinger! Verdammt. Ich entschließe mich also dazu, nochmal 4 km zu laufen. Heute ist sowieso alles verrückt.

"Boah, wie sieht denn das Ticket aus? Das ist ja völlig durchgeweicht! Wie hast Du denn das auf den paar Metern hinbekommen?" Ich erzähle ihr meine bisherige Geschichte. Sie meint nur mitleidig: "Da hat Dich wohl jemand verarscht." und gibt mir das Bändchen.

Der Anblick der gigantischen Bagger, die wundervoll illuminiert sind, ist überwältigend. Ebenso beeindrucken die lockeren Partypeople. Rock meets Electro, Britain meets Holland meets Germany. Es scheint, als wenn man sich mit jedem zweiten nur auf Englisch verständigen könnte. Bei einem aber irgendwie ziemlich britischen Lineup, ist das kein Wunder. Das Partyoutfit ist oft punkig und steckt in Gummistiefeln. Anders kann man dem allgegenwärtigen Schlick auch kaum Herr werden. Zwischen den Areas gibt es unzählige Merchandise- und Fressbuden. Bioland macht Sinn, aber was hat St. Pauli hier verloren?

Als erstes laufe ich bis an das Ende des Areals, um mir einen groben Überblick zu verschaffen. In einem kleinen Hinterhof befindet sich die Redbull-Stage. Rot illuminiert und jede Menge penetranter Schlick. Wer hier Musik macht, weiß ich nicht, aber es ist verdammt nochmal richtig gut! Eine Spanierin singt live zu Beats, die sich nach Deichkind anhören in ihrer Sprache.

Nach dem Erwerb eines Melt! T-Shirts, eines Melt! USB-Sticks und einem Code zum Downloaden der Videos halte ich auch endlich das Programm in der Hand und lege mir einen Zeitplan zurecht.

The Whitest Boy alive erscheint mir interessant. In den Melt! Klub wird aber keiner mehr hineingelassen. Das Gemini Zelt rockt aber ebenfalls gut. Um kurz vor Tagesgrenze dieser vollmondbeleuchteten Nacht begebe ich mich dann zur Mainstage und sichere mir einen ziemlich guten Platz, um Franz Ferdinand in vollen Zügen genießen zu können. Ist zwar kein Electro, aber das ist egal.

Nach einer gefühlten dreiviertel Stunde Soundcheck stehen sie endlich auf der Bühne. Dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wild rumzuspringen, war mir bisher unklar. Das Warten ist also umsonst gewesen und ich beeile mich, wieder zurück zum Gemini Zelt zu kommen. Dort ist Mr. Oizo angekündigt.

Auf halben Weg habe ich plötzlich den Arm eines Mädchens um mich geschlungen. Christin heißt sie. "Bringst Du mich bitte zum Desperados Zelt? Meine Freundin wartet dort auf mich. Der Schlick ist so gefährlich ..." Verrückt. Nicht wissend, wo das Desperados Zelt sich genau befindet, liefere ich sie aber heil dort ab und begebe mich schnurstracks in das angrenzende Gemini-Zelt. Mr. Oizo spielt schließlich genau die Musik, die ich mir erträumt hatte - und sogar noch ein ganzen Stück besser - Versetzt mit vielen Repeat-Effekten! Die Partycrowd raved und schwitzt. Mein Abend ist gerettet.

Dj Feadz gibt anschließend noch mehr Gas. Er spielt einen Mix der verschiedensten Stilrichtungen. Uffie, eine 20-jährige blonde Schönheit in hässlichen, aber angesagten Leggins fängt nach einer geschätzten halben Stunde an zu rappen. Als wenn das noch nicht abgefahren genug wäre, tauchen plötzlich Technotronic auf. "Pump up the Jam" Live und in Farbe. Leider werden die guten Vibrations kurzzeitig getrübt, da ein Partygast meint, er müsse den farbigen Rapper von Technotronic wiederholt mit Sachen bewerfen. "Once again and I will kick you in your motherfuckin' ass" Der Störer wird beseitigt und die Party geht weiter. Allerdings kommen Technotronic nicht ganz so gut an, wie sie es sich erhofft haben. Eurodance ist eben momentan nicht so angesagt. Die waren Ende der 80er - wir befinden uns erst am Anfang. Außerdem macht sich gerade das 4-Uhr-Tief breit.

Schon relativ kaputt tanze ich der Morgendämmerung zu fetten Drum and Bass Beats von Goldie auf der Mainarea entgegen. Die Beats sind aber nach meinem langen Fußmarsch zu schnell und zu hart. Meine letzten Kraftreserven setze ich schließlich um 5 wieder zurück im Gemini-Zelt frei. Boys Noize. Das Zelt ist wieder rappelvoll, es ist taghell, aber alles tanzt. Nach diesem krönenden Abschluss verlasse ich glücklich das Gelände und schlafe mich dank Ohropacks fit für die Rückfahrt.

Nächstes Jahr bringe ich mehr Zeit mit ... Und Sonne!

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