Abgetanzt: Die Loveparade soll ausfallen: Ein Abgesang auf das Ritual einer alt gewordenen Jugendkultur.
Erstellt am: 15.04.2004 - von: @lex
Es war immer schon der schlimmste Moment der Party. Musik aus, Licht an – vorbei. Es ist der Moment, in dem Spinnweben an der Decke des Klubs sichtbar werden, der schmierig getanzte Boden und blasse Gesichter, gerade noch von zuckenden Lichtern bunt gefärbt. Es ist ein trauriger Moment, wie es ihn im Lande Techno nicht geben darf, daher erfand man die Afterhour – die Party nach der Party. So lässt sich die Realität noch ein Weilchen ignorieren.
Doch sie scheint nun doch eiskalt Einzug zu halten: „Die Loveparade in Berlin ist für dieses Jahr abgesagt“, ließen die Organisatoren gestern verlauten. Sprich: Die Party, deren Gästezahlen seit Jahren deutlich rückläufig sind, ist nach 15 Jahren vorbei. Eine halbe Million Euro fehlt in der Rechnung der Loveparade GmbH, die über die Messe Berlin im Vorjahr indirekt aus öffentlichen Kassen gekommen war. Die aus Köln zugewanderte Musikmesse Popkomm werde das Geld bekommen, beklagen sich Insider.
Das zweite Juliwochenende ohne das Rummel gewordene Ritual einer alt gewordenen Jugendkultur. Ist das vorstellbar? Und: Ist das schlimm?
„Ein Schlag ins Gesicht für die Szene“, urteilt man beim wichtigen Szeneblatt „Raveline“. Ohnehin ist es sehr schwierig geworden, zehn Jahre nach dem großen Techno-Boom noch Sponsoren zu finden, ohne die kein Spektakel möglich ist. Als Sinnbild des modernen Jugendlichen taugt der Raver längst nicht mehr – das war früher, in den Neunzigern, in den Zeiten der ansteckenden kollektiven Euphorie der Szene über sich selbst. Innovation und Wachstum waren Schlagwörter der Zeit, Techno und die Loveparade als jährlicher Gradmesser der Szenegröße waren perfekte Symbole dafür.
Heute bringt man die Parade kaum noch mit diesen Dingen in Verbindung. Nicht zuletzt, weil sich über die Jahre immer mehr Aktivisten aus dem musikalischen Untergrund abgewendet haben, dem der Techno-Karneval einst entsprungen war: zu kommerziell, zu viele Touristen, zu viele Kameras. Es ist schlicht der Lauf der (Pop-)Welt, dass die tollsten, geheimsten Dinge von gestern heute nicht mehr spannend sind – wenn sie nämlich alle kennen. Hinzu kommt, dass die kompliziert ausdifferenzierte Szene – wie die ganze Popwelt – nach wirklich neuen Ideen regelrecht dürstet. Selbst die Fuckparade, die Gegendemo des Antikommerzflügels war nie mehr als die schmutzige, kleine Kopie der Loveparade.
Und die Jugendlichen? Glaubt man Einschaltquoten und Charts, dann träumen sie lieber davon, im Rampenlicht einer Casting-Show 15 Minuten Ruhm zu finden, als dass sie auf der Tanzfläche eine Nacht jeder für sich ihr eigener Star sein wollen. Nicht blass, sondern reich werden über Nacht – das ist es, was in der Wirtschaftskrise die Phantasie stimuliert. Und reich sind mit Techno die wenigsten geworden, geschickte DJ-Stars wie die Szenemitbegründer Sven Väth oder Westbam vielleicht, die wegen ihres fortgeschrittenen Alters auch nicht mehr recht als Symbole ewiger Jugend taugen.
Trotzdem beginnt nun die Diskussion nach dem bekannten Schema: Hunderttausende von zuckenden Leibern auf Berlins Straßen, Jugendliche, die bereit sind, ihr Geld auszugeben – das war immer ein Argument für die Loveparade. Die Rekordmarke liegt seit 1999 bei 1,5 Millionen Paradengästen. Friedliche, junge Massen, die sich im Tiergarten drängeln – auch das war immer ein toller Imagefaktor für die Hauptstadt.
Das Frühjahr ist die Jahreszeit, in der in Berlin schon oft um Urin und Müll im Tiergarten, um Getränkeverkäufe und Demonstrationsrechte gepokert wurde, gerne auch vor Gericht. Oft fielen dabei Drohungen der Loveparade GmbH, Berlin zu verlassen. Oft hieß es, wie auch diesmal: Den Organisatoren war es noch nie so ernst. Klar ist: Es geht ums blanke Überleben der Parade. Und so gab es gestern Abend weitere Verhandlungen zwischen dem Senat und der Loveparade GmbH über eine Beteiligung Berlins an den Kosten der Veranstaltung. Nur der Wirtschaftsfaktor Loveparade steht dabei zur Debatte – wäre sie für Berlin ein finanzieller Verlust oder nicht?
Der Partykultur aber könnte ein Ableben der Loveparade die große letzte Afterhour, sogar den vermissten Impuls geben. Die Klubs sind auch außerhalb der 250 Veranstaltungen des Berliner Megawochenendes gut gefüllt, national und international gibt es mittlerweile diverse andere Paraden jeglicher Größe – die Szene lebt durchaus vor sich hin, ohne öffentlich groß aufzufallen. Dabei könnte es bleiben. So eine Afterhour ist schließlich immer etwas für die Unentwegten, für den kleinen Kreis, der einfach nicht genug kriegen kann.
(Quelle: www.haz.de)