Drogengrenzwert - Auch Beifahrer riskieren Führerschein
Erstellt am: 13.02.2006 - von: nw
Während Unfälle unter Alkoholeinfluss in den letzten fünf Jahren deutlich zurückgegangen sind, haben sich die im Drogenrausch fast verdoppelt. Vor allem junge Fahrer greifen trotz absolutem Verbot von Drogen im Straßenverkehr gerne zum Joint bevor sie ins Auto steigen. Und riskieren damit nicht nur einen Crash, sondern auch ihren Führerschein. Was viele nicht wissen: Das gilt für alle Autoinsassen und nicht nur für den Fahrer.
Folgen von Drogenfahrten
Zugekifft, zugedröhnt und trotzdem hinter dem Steuer. Ein Joint, eine Pille und dann ab auf die Straße. Viele unterschätzen die Wirkung der Drogen und überschätzen sich selbst. Eine rollende Zeitbombe, und so knallt es immer wieder. Wie zum Beispiel in Kassel im April 2005. Im Drogenrausch fühlt sich ein 34-Jähriger von Fußgängern provoziert und rast deshalb gezielt auf den Bürgersteig. Eine Frau stirbt, ihr Begleiter wird verletzt. Anschließend liefert sich der Amokpilot mit 150 Sachen eine Verfolgungsjagd mit der Polizei mitten durch die Stadt und rast in eine Polizeisperre. Erst gezielte Schüsse können ihn stoppen. Seit Montag steht der Amokfahrer nun vor Gericht. Das muss nun prüfen, ob der Mann überhaupt schuldfähig ist oder unter Schizophrenie, möglicherweise verursacht durch zu starken Drogenkonsum, leidet. Staatsanwalt Michael Geidies zur Anklage: „Dem Angeklagten wird heimtückischer Mord, gefährliche Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr zur Last gelegt. Da er psychisch krank sein soll, hat sich die Strafkammer mit der Frage seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu befassen.“
Die A4 im August 2004. Eine Drogenfahrt endet im Inferno. Zugekifft verliert ein 29-Jähriger die Kontrolle über sein Auto und rammt einen Tanklaster mit 34.000 Litern Kraftstoff an Bord. Unmanövrierbar stürzt der LKW dreißig Meter in die Tiefe und explodiert. Der Fahrer verbrennt im Führerhaus. Nun muss Ende Februar der Prozess neu aufgerollt werden. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten gegen das Urteil von 22 Monaten Haft Berufung eingelegt.
Grenzwert oder "Null Toleranz"?
Immer häufiger tauchen Drogen auch im Straßenverkehr auf. Die Polizei versucht die Lage durch verstärkte Kontrollen in den Griff zu bekommen. Mit Hilfe neuester Methoden kann Drogenkonsum nun auch nach mehreren Tagen im Körper nachgewiesen werden. Anders als bei Alkohol reicht schon ein Zug an einem Joint, und schon geht der Wirkstoff THC sofort ins Blut. Die Folge: Wahrnehmungsstörungen, verändertes Zeitgefühl, verlangsamte Reaktionen. Im Gegensatz zum Alkohol baut sich THC erst schnell und ab einem bestimmten Wert nur noch sehr langsam ab. Daher kann man nicht mit Bestimmtheit sagen, wie lange die Wirkung anhält und ab wann man wieder gefahrlos Auto fahren kann. Deshalb gilt bei Kontrollen oft der Grundsatz: „Null Toleranz“. Wer auch nur mit geringsten Spuren von THC im Blut erwischt wird, muss mit Führerscheinentzug rechnen.
Kritik an der gängigen Praxis
Eine Praxis, die Rechtsanwalt Michael Hettenbach kritisch sieht. Er fordert einen festen Grenzwert wie die Promillegrenze bei Alkohol, ab dem die Fahrt nach Konsum wieder erlaubt ist: "Ich bin dafür, dass man nach dem Konsum eines Joints mindestens sechs bis acht Stunden warten sollte, bis man sich wieder hinter das Steuer setzt, wenn denn überhaupt gekifft werden muss. Ein Grenzwert wäre zumindest eine Möglichkeit, hier eine gewisse Rechtssicherheit herbeizuführen."
Bereits 2004 klagte er vor dem Bundesverfassungsgericht und bekam Recht. Die Richter entschieden, dass eine Fahrt unter Einfluss von Cannabis nicht geahndet werden kann, wenn der Wirkstoff THC nur in minimalen Dosen im Blut zu finden ist. Begründung: Studien zufolge hat ein THC-Wert unter einem Nanogramm pro Milliliter keine Auswirkung auf die Fahrtüchtigkeit. Daraus folgert Michael Hettenbach: "Ein Fahrer kann nicht für etwas bestraft werden, was keinerlei Gefahr für den Straßenverkehr hervorrufen kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Allerdings, ohne selbst einen eigenen Grenzwert vorzugeben."
Auch Beifahrer sind dran
Wie hart die Justiz ohne klare Vorgaben durchgreift, musste Joachim erfahren. Der junge Mann raucht einen Joint und wird kurz darauf von der Polizei zur Drogenkontrolle gebeten. Daraufhin wird ihm für ein Jahr der Führerschein entzogen. Das Kuriose dabei ist, dass Joachim nur Beifahrer war: "Damit hätte ich auch nicht gerechnet, damals, als die mich kontrolliert haben. Ich habe gedacht, mir kann nix passieren. Ich fahre ja nicht und sitze nicht hinter dem Steuer. Als Beifahrer kann ich ja nix machen. Ich kann ja auch einschlafen, und mir kann keiner was tun. Also: ich verstehe das nicht, dass die mir den Führerschein abnehmen konnten." Außer Ärger kostete ihn die Fahrt als bekiffter Beifahrer am Ende über 2.000 Euro. Dabei wurde sein Führerschein rein rechtlich zu Unrecht eingezogen, meint Anwalt Michael Hettenbach: "Normalerweise hätte es keine führerscheinrechtlichen Konsequenzen haben dürfen, wenn er nur Cannabis geraucht hat. Der reine Konsum rechtfertigt nämlich nicht, dass führerscheinrechtliche Maßnahmen ergriffen werden."
Sicher ohne Drogen
Trotz Urteil des Verfassungsgerichts bleibt die Situation undurchsichtig. Denn ohne eindeutige Vorgaben können Gerichte und Behörden unterschiedliche Entscheidungen treffen. Ein klar definierter Grenzwert könnte da für Klarheit sorgen. Nur: wann oder ob ein solcher überhaupt kommen und wie hoch er sein wird, bleibt offen. Auf der sicheren Seite ist man also weiterhin nur ganz ohne Drogen.
Quelle: Sat.1