Higher & Higher - zwischen Rausch und Klang

Erstellt am: 29.05.2007 - von: nw

Der Musikindustrie wird vorgeworfen, dass sie nichts gegen diese Verbindung unternimmt, sondern mit diesem Image bewusst spielt, da beinahe jeder Skandal in der Entertainmentbranche eher die Verkaufszahlen fördert, als dem Verkauf zu schaden.
Sei es nun Rock, Punk, Reggae, Techno oder auch Hiphop - all diese Kulturen entstanden aus und mit ihrer Musik und in all diesen Musikströmungen finden sich Referenzen auf die der jeweiligen Kultur eigenen Drogen. Künstler machen Drogen zum Inhalt ihrer Songs, verkauft und vertrieben werden die Stücke von der Musikindustrie. Doch beweist das eine Schuld der Musikindustrie am wachsenden Drogenmarkt?
Als in den 1960er-Jahren in Amerika Blumenkinder zu Sit Ins zusammen kamen, hatte die Musikindustrie damit anfangs wenig zu tun. Die Blumenkinder genossen das Leben, trafen sich zum gemeinsamen Musizieren, es wurden bewusstseinserweiternde Drogen konsumiert und das Leben schien unendlich frei. Konzerte kosteten kein Geld - Musik wurde selbst gemacht.
Als daraus eine Massenbewegung entstand, war die Musikindustrie zur Stelle, angelockt von einem sich auftuenden Markt: Es gab Künstler, die verehrt wurden, und ein Publikum, das ihre Musik hören wollte, wenn möglich überall: zu Hause, bei der Arbeit, im Radio oder im Fernsehen. Die Musikindustrie sorgte für die Verbreitung der Musik, die Musikmedien sorgten für Information über die Künstler. Parallel dazu organisierte sich ein Drogenmarkt. Abseits der legalen Wege der Musikindustrie natürlich, aber auch mit dem Ziel, Kunden mit dem zu beliefern, was sie brauchten, und um daran zu verdienen.
Die Absicht der Musikindustrie ist eindeutig: Geld mit Musik zu verdienen. Ob sich diese Musik als Protest gegen herrschende Gesellschaftsnormen oder als Loblied auf Drogenkonsum darstellt, ob es Volksmusik, Jazz oder Klassik ist, der Musikindustrie scheint es prinzipiell egal, ob die Künstler und ihre Fans Drogen nehmen, Hauptsache sie kaufen das Produkt.
Als der Reggae zu einem weltweitem Siegeszug ansetzte, war der Gewinner wiederum die Musikindustrie, fast in jedem Song wurde Ganja besungen, die traditionelle Droge der Rastafaris, besser bekannt als Marihuana, und Reggaekonzerte waren eher Smoke Ins als Konzertveranstaltungen. Trotz massiver Proteste von besorgten Eltern und dem Versuch von Interessenverbänden, diese Musik aus dem Radio zu verbannen, verkaufte die Musikindustrie Millionen von Tonträgern von Bob Marley oder Peter Tosh. Damit machte sie Songs über Mariuhana auch den Menschen zugänglich, die bisher über Mariuhana kaum etwas wussten. Auch in der Volksmusik wird der Alkoholkonsum ähnlich hemmungslos angepriesen wie der Mariuhanakonsum im Reggae oder Hiphop.
Doch wird die Musikindustrie damit zum Handlanger der Drogenhändler?
Als Punk aufkam, ging es in den meisten Texten um die Ablehnung der herrschenden Gesellschaftstruktur und um Sex und Drogen. Der Protest der Punks gegen die Zwänge der Gesellschaft, die sie simpel auf die Formel Birth-School-Work-Death reduzierten, war echt. Die "No Future"-Epoche wurde ausgerufen. Nutznießer der Situation war wieder die Musikindustrie, die den Trend geschickt vermarktete und mit größerer Verbreitung auch Punk zu einem massenkompatiblen Produkt machte.
Würde ein Verbot von Texten über Drogen und Sucht etwas an der Situation ändern, dass Drogen genommen werden? Die Antwort ist so kurz wie sie klar sein kann: Nein. Eine ernsthafte Aufklärung jedoch wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Musik wird nicht wegen der Drogen gehört, sondern eben wegen der Musik.
Künstler, die Drogen nehmen, teilen das gleiche Schicksal wie andere Menschen, die Drogen nehmen: Es ist ein Kampf, davon loszukommen, nahezu unmöglich, damit umzugehen, und endet nicht selten mit dem frühen Tod der Stars. Der Musikindustrie ist vorzuwerfen, dass sie mit der verkaufsfördernden Drogensucht ihrer Stars spielt, um noch mehr Aufmerksamkeit auf diese zu lenken. Und wo Verkaufszahlen wichtiger sind als Verantwortung, fallen Schäden und Nebenwirkungen schon mal unter den Tisch. Ein weiterer Vorwurf, der viel schwerer wiegt, ist der, dass sie sich über die Vorbildfunktion ihrer Stars diesbezüglich scheinbar überhaupt keine Gedanken macht. Aber: Idole finden Nachahmer.
Müsste die Musikindustrie also einen moralischen Ansatz verfolgen und nur "bereinigte" Kunst verbreiten? Wäre es besser, wenn Menschen erst gar nichts über Drogenkonsum von Musikern und deren Problemen erfahren?
Mozarts Alkohol- und Sexsucht missfiel der herrschenden Klasse seiner Zeit, doch seine Musik war so wundervoll, dass man die Entgleisungen des Genies tolerierte. Hätte Mozart nicht musizieren und komponieren dürfen, weil er Alkoholiker war?
Musik liefert wichtige Mosaikstücke für ein wahres Bild unserer Gesellschaft, und sie bietet eine Flucht aus deren Grenzen. Künstler verarbeiten ihre Erfahrungen, ihre Sichtweisen in Musik, und es ist gut, dass ihnen nicht verboten wird, dabei Kritik zu äußern, Gefühle zu beschreiben - und auch Räusche.